Jaz
Anmeldedatum: 30.10.2006 Beiträge: 396 Wohnort: Berlin-Steglitz
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Verfasst am: 21.07.2009, 00:06 Titel: |
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Jörg Bunzel †
„Schade, dass du gehen musst, lang vor deiner Zeit.
So wie ich die Dinge seh‘, tut‘s dir selbst schon leid.
Einfach so hinauszugeh‘n, hast du mal bedacht,
was dein Fortgeh‘n uns, mein Freund, für einen Kummer macht.“ (Reinhard May)
Ein dicker grauer Vorhang der Trauer legte sich Anfang der mit dem 13. Juli beginnenden Woche zumindest beim Berliner Trabervolk über die Vorfreude auf die bevorstehende Derbywoche: Völlig unerwartet ist am Sonntag, 12. Juli, Jörg Bunzel in seiner Lankwitzer Wohnung einem Herzschlag erlegen. Gewiss, schon vor einigen Jahren hatten sich, neben den üblichen altersbedingten Wehwehchen, Herzrhythmusstörungen eingestellt, die den Einsatz eines Schrittmachers erforderten, aber hatten wir ihn nicht noch vor zehn Tagen bei bester Stimmung getroffen? Endlich hatte er wieder gedämpften Optimismus versprüht, sprach voller Freude von seinem neuen Engagement beim Stall Aleo, wo ihm als Co-Trainer die Rückkehr zu jenem Sport geebnet wurde, der sein Lebenselixier war und dem er „mangels Besitzermasse“ sowie wegen der damals angegriffenen Gesundheit vor ein paar Jahren den Rücken kehren musste. Am Sonntag war er nicht auf der Derbybahn erschienen, konnte den Sieg des von ihm mit vorbereiteten Stranger nicht mehr erleben. Weil der sonst so überaus zuverlässige und pünktliche Trainer gar nichts von sich hören ließ, befürchtete sein Umfeld Schlimmes und ließ die Wohnung öffnen. Dort wurde der allein lebende Jörg Bunzel leblos aufgefunden.
Der sportliche Lebensweg des überaus beliebten, weil in seiner Grundstimmung fröhlichen, optimistischen, offen auf die Menschen zugehenden Trainers, der aus seinem Herzen andererseits nie eine Mördergrube machte, frank und frei seine Meinung kundtat, wenn klare Worte an der Zeit waren, kann als ein Spiegelbild, eine Fieberkurve des Trabrennsports der letzten 40 Jahre gelten.
Begonnen hat alles wie bei so vielen Rennsport-Novizen an der Hand des Vaters, der - selbst Besitzer und Amateurfahrer - seine beiden Steppkes früh mit auf die Mariendorfer Renne nahm. Was lag näher für Jörg, dort wie sein älterer Bruder Frank eine Lehre zu beginnen. Erst Josef Gerl, der aus Bayern nach Berlin Kriegsversprengte, nach dessen Tod Peter Reckzeh vermittelten Jörg Bunzel ein ausgezeichnetes Rüstzeug, das er nach bestandener Gesellenprüfung als Berufsfahrer bei Burkhard Sternberg zügig weiter vertiefte. „Stolz wie Oskar“ war er noch Jahrzehnte später auf seine beiden Uhren, die er für Platz eins bei bundesweiten Lehrlingsvergleichen als Ehrenpreise überreicht bekomme hatte. Er wusste fortan, was die Stunde geschlagen hatte - er wollte selbstständiger Trainer werden. Den nötigen Namen machte sich das fahrerische Talent bei Burkhard Sternberg, der ihm wie all seinen jungen Leuten viele aussichtsreiche Fuhren übertrug. Den Vorteil der 20-Meter-Erlaubnis bei den damals noch sehr viel häufigeren Bänderstart-Prüfungen nutzte der junge Mann dank Tibi Bond, Snoopy, Ester Pride, Bintje rigoros aus und brachte neben vielen Siegpunkten so manch üppiges Trinkgeld in die Kassen der Stallcrew. Spätestens in jenen Jahren kam der Name „Bunzel“ in vieler Munde, und so war es nur logisch, dass er am 10. Juni 1975 seine Pforten als damals jüngster „public trainer“ öffnete. Der sich aus dem Trainergeschäft zurückziehende Adolf Lawerenz übergab ihm sein Etablissement mit allem Drum und Dran - Besitzer, Pferde, Wagen, Geschirr, Schleifzeug - in jenem Gebäude, das inzwischen jenseits der Geländegrenze längst abgerissen und durch Einfamilienhäuser ersetzt worden ist.
James Bond und Nixnutzia aus dem Stall Acapulco waren die Recken der ersten Stunde, und obwohl er nie zu den ganz Großen Mariendorfs gehörte - nur einmal langte es hinter den Platzhirschen Jauß und Kwiet zum Platz auf dem Championatstreppchen -, legte er denen doch so manchen Stolperstein in den Weg zu Siegerparaden. Ein Platz in den Mariendorfer Top Ten war für ihn über Jahrzehnte Ehren- und Pflichtsache. Mit Tibi Morai aus dem Stall Wildanger gewann er 1976 das damals preislich und sportlich hoch im Kurs stehende Versuchsrennen der Zweijährigen, aus dem gleichen Lot sorgte Ungar für Furore. Ceno Hill, Solyax, My Hope vermochten viel mehr als nur einen Blumentopf zu gewinnen. Sein Liebling jedoch war Blunata, von der er stets aufs Neue betonte, sie sei das beste Pferd gewesen, dass er je trainiert habe. 1978 formte er sie zur gewinnreichsten Stute West-Berlins, ein Jahr später gelang ihm ein ähnliches Kunststück, nämlich zu Weihnachten bei der traditionellen Ehrung der Jahrgangsbesten aufzukreuzen, mit Lurifax.
In Spitzenzeiten Mitte der 1980er Jahre beherbergte sein Quartier rund 40 Köpfe, doch der Niedergang des deutschen Trabrennsports spiegelte sich exemplarisch an seinem Lot wider. Trotz Aushängeschildern wie Johannesstar, Gracian Clöving, die beide für die Kasse seines Neffen Dustin Werk an den Start kamen, und Bahamontes, dem einzigen Nachkommen jener immer wieder erwähnten Blunata, nahm die Zahl derer, die ihm ein Pferd in Training geben wollten, rapide ab - so stark, dass er sich vor gut drei Jahren nicht nur aus gesundheitlichen Gründen entschloss, die Pforte seines Quartiers zu schließen. „Auf allen Bahnen Deutschlands brennt es lichterloh, immer weniger Pferde werden tatsächlich in die Hände von Trainern gegeben, von denen die Mehrzahl ums nackte Überleben kämpft - die jetzigen Zeiten sind wahrlich kein Zuckerschlecken“ - diese bitteren Worte, die heute nicht minder aktuell sind, ließ sich der sonst so fröhliche, lebenslustige Jubilar anlässlich seines 50. Geburtstags entlocken. Wie um sie zu unterstreichen, beschritt am selben Tag der Recklinghausener Rennverein den Weg in die Insolvenz…
Geschätzt haben seine Kollegen an ihm die unbedingte Hilfsbereitschaft, so weit sie in seinen Möglichkeiten lag. Solange dort sein väterlicher Freund Heinz-Lothar Schütt, der Herausgeber der damaligen Berliner Ausgabe der Deutschen Traberzeitung, am Schaltpult saß, brachte er sich in die Vereinsarbeit des 1. Traber FC ein, obwohl er selbst fußballerisch nur zu jenen „Hobbyisten“ gehörte, die hin und wieder im Trainer- und Berufsfahrerkreis aus Spaß an der Freude kickten. Nach der Maueröffnung stand er wie selbstverständlich einigen Karlshorster Kollegen zur Seite, war sich nie zu schade, für sie mal die eine oder andere Fahrt zu übernehmen, hier und dort Trainingstipps zu geben oder renntags seinen Stall für die Gäste „von drüben“ zur Verfügung zu stellen. Allen aufkommenden Schwierigkeiten zum Trotz vermochte er lange Zeit, mit seiner Begeisterung für seinen Sport den einen oder anderen neuen Besitzer für die Traber zu entflammen, alte bei der Stange zu halten.
Lieber Jörg, rund zwei Jahrzehnte lang sind wir nicht nur mit meinen eigenen Trabern durch viel Dickes, natürlich auch manch Dünnes gegangen. Niederlagen, mit Anstand verlieren, den verdienten Sieg eines besseren Mitstreiters rückhaltlos anerkennen zu können - gerade das gehört zu unserem, zum Sport allgemein dazu. Das hast Du stets vorgelebt. Nicht immer waren wir einer Meinung, was, wie die Ergebnisse gezeigt haben, nicht unbedingt die schlechtesten Voraussetzungen sind, um zum Erfolg zu kommen. Nur aus fruchtbaren Dialogen erwächst Besseres. Du hast für mich Traber wie Blunata und Bahamontes geformt, zu Siegen und auch „ehrenvollen Niederlagen“ geführt, die diesen Sport immer aufs Neue zu etwas Erlebenswertem, Faszinierendem, gleichzeitig Nachdenkenswertem gemacht haben.
In Trauer gedenke ich eines körperlich kleinen, menschlich umso größeren, stets überaus fairen Sportsmannes und hoffe, damit im Namen des gesamten Berliner Trabervölkchens, sei es nun aktiv oder passiv, geschrieben zu haben. Vor und hinter den mehr oder weniger bunten Kulissen des Rennsports hatte er viele Freunde - aus der renntechnischen Abteilung und Verwaltung seien stellvertretend für alle Brigitte Reckzeh und Jürgen Mathuszczyk genannt. Unsere tiefe Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen, insbesondere seiner „kleinen“ Schwester, die ihm in schweren Zeiten stets ein felsenfester Rückhalt war, sowie seinem seit Jahrzehnten bei Hamburg lebenden Bruder Frank, mit dem er, nach Jahren der Funkstille, wieder ein Herz und eine Seele geworden ist.
Am 1. September wäre Jörg Bunzel erst 56 Jahre alt geworden.
Für die Berliner Redaktion des Traber Journal Manfred Wegener |
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